Montag, 25. März 2024

Über Wirken und Wesen der Liebe

Zu Lieben ist eine bewußte Entscheidung, basierend auf klaren, durchdachten Entschlüssen. An dieser Entscheidung ist nichts zufällig und übereilt. Sie geschieht im tragischen Bewußtsein ihrer Problematik und Ungewolltheit auf beiden Seiten. Das hat nichts mit Romantik und Verliebtheit zu tun. Das ist eine Sache für Erwachsene.

Sich freiwillig zu verlieben ist nicht schwierig. Das kann jeder. Ein Haustier ist dazu fähig. Aber um die Folgen davon zu wissen, sie bewußt in Kauf zu nehmen und dennoch nicht nur ein freundliches Gesicht dabei zu machen, dazu gehört ein Erwachsener.

Was bedeutet das? Es ist, nach dem Ende der freiwilligen Liebe, die Angst endgültig von ihr (der verlorenen Frau) besiegt zu werden, sie endgültig zu verlieren. Dann bedeutet sie mir nichts mehr. Annehmen tut sie ohnehin schon nichts mehr von mir. Ich muß also um alles kämpfen, was nur oder doch teilweise von mir abhängt. Um jemanden weinen dem ich absolut gleichgültig bin. Einseitig und allein zu lieben also, aber nicht in einer heimlichen Hoffnung auf Erhörung, sondern im sicheren Wissen um die Vergeblichkeit dieser Regung, darum, daß sie nicht nur von der erneut geliebten Frau nicht gewollt wird, sondern auch von mir selbst nicht.

Der Entschluß gerade jetzt zu lieben ist der letzte und verzweifeltste Versuch zu retten was längst nicht mehr zu retten ist. Aber er ist noch mehr: Eine prinzipielle Entscheidung für die Liebe an sich, die Liebe als Allem-Zu-Grunde-Liegendem, das immer und überall Vorrang hat. Für das Prinzip Gottes. Wenn auch schon weit entfernt von ihm.

Lieben um nicht alles zu verlieren von dem, was damals gut war. Zuerst habe ich alles kaputtschlagen müssen, um zu retten, was noch zu retten war. Jetzt muß ich lieben, um zu retten, was nicht mehr zu retten ist: Das sind die Dinge, die ich nicht kaputtschlagen kann, ich habe es sechs Jahre lang immerhin versucht, und die sonst anfangen zu gären, was Hass, Trauer und Verzweiflung zur Folge hat und mich jetzt schon zur Liebe fast unfähig macht.

Eine Entscheidung in dem klaren Bewußtsein, daß diese Liebe ein weiteres großes Leiden bringen wird, das nur durch die Liebe, zu der man sich entschlossen hat, zu ertragen ist, das nur dadurch sinnvoll wird. Die Liebe rechtfertigt sich selbst, auch dann wenn sie als Waffe gegen sich selbst eingesetzt wird.

Liebe verschwindet nur durch Liebe. Liebe kann nur durch Liebe neutralisiert werden. Die Reste der freiwilligen Liebe verschwinden nur dann beinahe spurlos, wenn sie durch die ihr entgegengesetzte bewußte Liebe ausgebrannt wird.

Das als traurig oder tragisch zu bedauern ist nichts als Flucht vor dem Notwendigen, der eigenen emotionalen Gesundheit also, und eine Verniedlichung von etwas, das keine Diminutive erträgt: der Liebe. Eine Liebelei ist immer verachtenswert. Selbst dann wenn sie sich "nur" auf ein Tier richten sollte: Ein Lebewesen ist immer, egal unter welchen Umständen, total zu lieben. Damit haben auch Verlust und Trauer total zu sein. Da Verlust und Trauer total sein müssen um ein Lebewesen als Menschen identifizieren zu können, muß auch der Weg zu Verlust und Trauer total sein. Dieser Weg ist Liebe.

Wer zu dieser Totalität nicht fähig ist, begebe sich zurück in die Sphäre der Tiere und unbelebten Gegenstände.

(Tübingen & Oldenburg 2018 - 2024)