Dienstag, 12. Oktober 2021

Zarathustra und der Triathlon

Die Raubvögel schrauben sich in den wolkenlosen Mittagshimmel, das heißt, daß der Triathlon in den überhitzten Straßen und Gassen der Stadt "Bunte Kuh" seinem Höhepunkt entgegeneilt. Bei 30°C im Schatten - ich sitze im Schatten oben am Hang - und 34°C in dem Hexenkessel zu meinen Füßen, ist die Stimmung an ihrem Siedepunkt angekommen und wird ohne Unterbrechung schnell zum Kochen kommen. Das Gejohle der Zuschauer geht seiner menschenmöglichen Klimax entgegen und so auch die Anstrengungen der Sportler. Schon ist es so weit, daß einzelne Läufer, Schwimmer und Radfahrer sichtbar schwächeln, d.h. nicht mehr mit dem Feld mithalten können. Und das bewirkt sofort auch eine Veränderung im Verhalten des Publikums Führen seine Anfeuerungen, sein gnadenloses Hopp-Hopp!- und Schneller-Schneller!-Geschrei nicht zum sofort sichtbaren Erfolg, kann es kein Pardon mehr geben und zeigt seine rasende Enttäuschung mit dieser miserablen Leistung dem erschöpften Sportler mit den Fäusten. Deshalb auch die Raubvögel. Deshalb auch die Rettungswägen und Sanitäter an allen Straßenecken, die nun ihrerseits zur Höchstform auflaufen, gilt es doch das für die Gesamtgesellschaft - also auch für mich - so wichtige Sportlerleben zu retten. Das Heulen der Sirenen ist daher zum längst nicht mehr wahrgenommenen Crescendo und andauernden Hintergrundgeräusch geworden. Alle geben wirklich alles und das unter stark erschwerten Bedingungen, da sich erboste Zuschauer, erschöpfte Sportler und übermotivierte Rettungskräfte längst zu einem unentwirrbaren Knäuel verwirrt haben, das sämtliche Wege verstopft und das sich erst in den Abendstunden mit abnehmender Hitze langsam wieder auflöst.

Nun schlägt die Stunde der Raubvögel, sowohl der gefiederten, als auch der menschlichen, die mitleidlos den Überlebenden auf ihrem Heimweg auflauern. Von meinem Auslug herabsteigend begegnet mir ein zutiefst erschöpfter Sportler, für den der lynchende Mob keine Energie mehr hatte und der erbarmungswürdig in seiner Schwäche anzusehen, humpelnd und schweißnass sein Fahrrad nach Hause schiebt. Den habe ich gnadenlos angefeuert: Schneller-Schneller! Hopp-Hopp! Nicht so lahm hier! Wirst du wohl Begeisterung für deinen Sport zeigen! Leistung-Leistung! Wirst du wohl endlich Sport machen! Er zuckt bei jedem meiner Schreie zusammen und ich glaube nicht, daß er noch besonders lange mit dieser Schande wird leben können. Ich gebe ihm drei Tage.

(Tübingen am 5. August 2018)

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