Sonntag, 10. Februar 2019

Wo die Verwirklichung des Daseinssinnes nicht mehr in der Beziehung zu Gott hin möglich ist [Augustinus, Gottesstaat], da erfährt das Menschsein eine ungeheure Verarmung, eine enorme Verkürzung in seinen Ansprüchen, ja Schrumpfung in seinem Sein. Das Problem Mensch verlangt jetzt eine neue Lösung. Ist sie nicht mehr zu suchen "im Transzendeten" oder Ewigen, so muß sie gesucht werden im Zeitlichen oder Endlichen, in Sein und Zeit, im In-der-Welt-sein also. Aber darin allein geht die "Rechnung" nicht auf. Es bleibt ein "Rest", der sich in die Endlichkeit nicht fügt, die Sehnsucht über die "weltliche" Endlichkeit des Daseins hinaus nach Einigung mit dem unendlichen und ewigen Sein. Sie ist, wir wissen es, nur möglich als Widerspruch gegen die Endlichkeit. Der Name dieser Sehnsucht lautet auch heute noch: Liebe.

Ludwig Binswanger
Grundformen und Erkenntnis menschlichen Daseins

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen